„Eine Plastik ist ein dreidimensionales, körperhaftes Objekt der bildenden Kunst.“ So schlicht die Definition ist, so interessant der Wortstamm: Das französische Substantiv „plastique“ bedeutet „formbar“ – Plastik ist geformte, formbare Kunst.
Ebenso schlicht und treffend ist der Name, den das Künstlerduo KA+MA seinen Kunstwerken gegeben hat.
„plastics“ heißen die plastischen Objekte, die – so unterschiedlich sie auch sein mögen – Verschiedenes eint. Sofort fällt auf: Dem Betrachter ist freigestellt, wie er die Objekte ansehen mag. Viele der Arbeiten können gedreht und gewendet werden. Die absolute Freiheit im Schaffensprozess findet ihre Entsprechung auch in der ungewöhnlich großen Freiheit des Betrachters, der die Plastiken anfassen soll – und schließlich entscheidet, ob das Objekt steht oder liegt.
Diese Freiheit bei der Kunstbetrachtung ist ungewöhnlich. Und ungewöhnlich ist auch die Formgebung: verknotet, ineinander verschlungen sind viele dieser Objekte. Manche erinnern an Drähte, andere an Industrie-Federn oder Röhren (Werkgruppe TECHNICS). Den rechten Winkel gibt es hier nicht.
Auch wenn viele der Arbeiten an industrielle Werkstoffe gemahnen, so entstammen sie fraglos dem Kunstkontext. Sie sind keine Readymades im Sinne Duchamps, sondern Kunstobjekte, von Künstlerhand erschaffen aus erhitztem Kunststoff. Auffällig ist, dass viele der Arbeiten nicht auf einem Sockel montiert sind. Stattdessen kann man sie auch direkt auf den Boden stellen – so bieten sie immer neue Ansichten und werden noch stärker als Teil des Raums wahrgenommen.
Kunst ist stets nicht nur das, was wir sehen. Skulpturen, Objekte, Plastiken sind immer auch ein Wahrnehmungs- und Denkmodell: KA+MA nutzen die Biegsamkeit des Kunststoffs, um hieraus Schlaufen in leuchtenden Farben zu formen, oft mehrfarbige Bänder (Werkgruppe RIBBONS), die in ihrer glänzenden Anmutung an natürliche Werkstoffe, etwa an Keramik denken lassen. Manche von ihnen sind verknotet, andere wirken elegant eingefaltet – und leuchten in überaus originellen, mal heftigen, dann edel zurückgenommenen Farbkombinationen.
Eine wieder andere Werkgruppe (Werkgruppe CREATURES) vermischt das Band-artige mit Motiven aus Fauna und Flora. Schneckenhafte Wesen, Tintenfische, Kürbisse, Schoten – all das mag man in diesen Objekten erkennen. Überhaupt ist solche Kunst ein Phantasie-Anreger: Das formbare Ausgangsmaterial erzeugt im Betrachter sehr verschiedene, sehr freie Assoziationen.
Ganz selbstverständlich geht die Kunst von KA+MA auf Distanz zur Natur, nähert sich ihr aber auch immer wieder an. Einige der Wesen, die wir hier sehen, könnte es wirklich geben – in den kalten Tiefen der Meere womöglich? In einem heißen, grellen Dschungel? Hängend in den höchsten Baumwipfeln? Das Material, hier spricht es aus sich selbst heraus, gerade in seiner Vielgestaltigkeit. Die so besondere Originalität dieser Werke, die Einzigartigkeit dieser Kunst, liegt auch in der Einzigartigkeit des Materials, dass KA+MA virtuos in Szene setzen.
KA+MA schaffen zeitgenössische Kunst aus Kunststoff. Die Geschichte einer solchen Kunst – dieser Exkurs sei
erlaubt – ist etwa 100 Jahre alt: Schon im Jahr 1916 schuf der russische Bildhauer Naum Gabo ein Objekt aus Rhodoid, einem Zellulose-Azetat. Heute, mehr als hundert Jahre danach, ist der Werkstoff gerade in seiner Wandlungsfähigkeit immer noch von größter Faszination: Kunststoff ist biegsam, geschmeidig, kann aber auch harte Materialien ersetzen. Kunststoff ist leicht, kann aber schwer und überaus edel wirken. Nur einige Künstlerinnen und Künstler, die bedeutsame Kunst aus Kunststoff erschaffen haben, seien hier genannt: Niki de Saint Phalle, Duane Hanson, Les Levine oder César Baldaccini haben Kunststoff als Material für ihre Kunst gewählt.
Anders als etwa bei den Künstlerinnen und Künstlern der amerikanischen Pop-Art ist es nicht die Künstlichkeit des ursprünglichen Materials, welche bei KA+MA zur Schau gestellt wird: Poppig, knallig, auffällig gerade in der Farbigkeit, sind manche ihrer Objekte. Andere dagegen wirken geradezu natürlich. Manche Kreaturen der CREATURES-Werkgruppe könnten – so phantastisch, so surreal sie auch sind – durchaus der echten Tier- oder Pflanzenwelt entstammen.
Schon im Jahr 1968 – zur Hochphase der Pop-Art – zeigte eine Ausstellung in der Städtischen Kunsthalle Wiesbaden unter dem Titel „Kunst & Kunststoffe“ eine Gruppenschau von Arbeiten aus Kunststoff. Der bekannte österreichische Kunstwissenschaftler Peter Gorsen konstatierte damals, dass die Stärke des Werkstoffs auch darin liege, dass der Betrachter keine Scheu habe, diesen anzufassen: „Er erkennt das Material der Konsumgüter oder deren Verpackung wieder und scheut sich nicht, einen Kunststoffkörper zu betasten, der nicht mehr praktisch, sondern allein kunstästhetisch ernst genommen sein will. Der sinnliche Kontakt mit dem Ausstellungsobjekt wird stärker.“
Und so ist es auch bei der Kunst von KA+MA. Das hochwertige Material, mit dem sie arbeiten, ist ein großer Trickser: Es kann weich und hart wirken, glänzend, matt, elegant-dezent oder schrill und bunt – all das entspringt der besonderen Kunst der Verarbeitung. Die plastics-Objekte gleichen einem Chamäleon: Mal lassen sie an hochwertigstes Produktdesign denken (dessen Kern ja auch Gestaltung ist), dann wieder überschreiten die Objekte die Grenze zwischen Design und Kunst, um gerade in ihrer Zweckfreiheit zu brillieren. Der stetige Wechsel ihrer Anmutung macht die Werke von KA+MA so mehrdeutig und immer wieder überraschend. Sie bleiben im Gedächtnis. Überzeugen in ihrer Einzigartigkeit und Wiedererkennbarkeit.
Marc Peschke
Kunsthistoriker, Kurator und Publizist. Wertheim am Main und Hamburg